Alte Pulverfabrik im Neckartal

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Gewerbegebiet im Neckartal, 22. Dezember 1999

Das Gelände der alten Pulverfabrik im Neckartal bietet eine faszinierende Mischung aus Zerfall und Neubeginn. Neben alten Industriebauten, die langsam von der Natur zurückerobert werden, stehen neue oder renovierte Gebäude, die von jungen Firmen genutzt werden. Der andauernde Kreislauf des Lebens: Altes vergeht und macht Platz für Neues.

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Gewerbegebiet im Neckartal, 4. Januar 2000

In meiner Kindheit (1960-1970) war die Pulverfabrik (alle nannten das Gelände damals IG) verbotenes Gelände. Ringsum war die IG durch hohe Maschendrahtzäune abgeschirmt, es bestand keine Chance, die Neugier zu stillen und mal zu sehen, wie es unten im Talkessel aussieht. Die Einfahrt zur IG in der Duttenhofer Straße unten im Tal bei der Neckarbrücke war durch eine Schranke und durch Pförtner abgesichert. Nur die Bundesstraße 14 von Rottweil nach Villingendorf bot vereinzelt Ausblicke ins Tal zur IG. Der Nachbar meiner Eltern arbeitete in der IG und hatte damit ein Privileg, er wusste, wie es da unten aussah, er kannte die Basis der beiden Schornsteine des Kraftwerks, die weithin im Umland der IG sichtbar waren. Die IG war geheimnisvoll!

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Gewerbegebiet im Neckartal, Badhaus, 22. Dezember 1999

Im Jahre 1564 wird die Rottweiler Pulvermühle im Neckartal erstmals erwähnt, wahrscheinlich dürften ihre Wurzeln bis ins 15. Jahrhundert zurückreichen. Die meisten der heute noch erhaltenen Bauten entstanden zwischen 1907 und 1916. Im Jahr 1817 kauften Franz Xaver Flaiz aus Gruol bei Haigerloch und der Rottweiler Sebastian Burkhardt die Pulvermühle von dem Amtmann Blattmacher ab. Unter dem Firmennamen "Burkhardt und Flaiz" errichteten sie eine Fabrik, die im Jahr 1839 durch eine Explosion zerstört wurde. Bis 1848 leitete Flaiz den Wiederaufbau und die Fortführung der Fabrik.

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Lage des Gewerbeparks

Im Jahr 1840 gründeten der Sohn von Franz Xaver Flaiz und Sebastian Linsenmann eine zweite Pulverfabrik im sogenannten Fuchsloch. 1853 starb Linsenmann und der Apotheker Wilhelm Heinrich Duttenhofer trat für ihn in die Firma ein und schickte sich an, die Rottweiler Duttenhofer-Dynastie zu begründen. Bereits 1856 war die Firma "Flaiz und Duttenhofer" die größte Pulverfabrik in Württemberg.

1857 erwarb die Witwe von Wilhelm Heinrich Duttenhofer die Pulvermühle von Burkhardt und Flaiz. Max Duttenhofer gründete schließlich 1872 die "Pulverfabrik Rottweil" als Aktiengesellschaft. 1875 dehnte sich die Pulverfabrik auf 124 Morgen aus und lieferte Pulver bis nach China und Amerika. 1877 gründete Max Duttenhofer eine weitere Fabrik in Düneberg bei Hamburg (Pulverfabrik Rottweil-Hamburg), deren Leitung sein Bruder Carl Duttenhofer übernahm.  1890 kamen zu dem Pulverimperium die "Rheinisch-Westfälischen Pulverfabriken" hinzu.

1884 entwickelte Duttenhofer das sogenannte rauchlose Pulver, das als RCP (Rottweiler Chemisches Pulver) Geschichte schrieb. Duttenhofer war der wichtigste Mann Rottweils, seine Telefonnummer lautete: 1. Bei der Produktion des RCP gelangte tonnenweise Salpetersäure in den Neckar und ins Erdreich, Gase griffen die Gesundheit der Arbeiter an.

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Gewerbegebiet im Neckartal, 22. Dezember 1999

Max Duttenhofer wurde geadelt und durfte sich "Geheimer Kommerzienrat" nennen. Die einzelnen Fabriken vereinigten sich zur Aktiengesellschaft "Vereinigte Köln-Rottweiler-Pulverfabriken". Im Jahr 1903 starb Max von Duttenhofer und sein Erbe trat sein Sohn Dr. Max Duttenhofer an.

Im Oktober 1918, nach dem verlorenen Weltkrieg, wurden die Anlagen der Pulverfabrik auf Friedensproduktion umgestellt, es wurden Kunstfasern hergestellt. Im Jahr 1926 fusionierte die "Köln-Rottweiler-Pulverfabriken" mit der "IG Farbenindustrie AG".

Im Jahr 1963 wurde das Werk im Neckartal von der Freiburger "Rhodiaceta AG" übernommen. Die neuen Fabrikationsanlagen wurden auf das linke Neckarufer konzentriert. In den freigewordenen Gebäuden konnten neue Unternehmen angesiedelt werden.

Eines der imposantesten Bauwerke im Gewerbegebiet Neckartal ist das alte Kraftwerk. Es entwarf der Architekt Professor Paul Bonatz, auf den auch der Stuttgarter Hauptbahnhof und die Rottweiler Johanniterschule zurückgehen.

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Gewerbegebiet im Neckartal, 22. Dezember 1999

Ein 1899 entstandener Anbau an das "Neue Betriebsgebäude" beinhaltet einen Saal, der als Museum der Pulverfabrik diente, für Geräte und eine Waffensammlung. Der Museumssaal  hatte eine prächtige Deckengestaltung (Neo-Renaissance). Kunden aus aller Welt wurden in diesem Museumssaal empfangen: Waffenhändler, Könige, sogar Delegationen aus China.

Das schnelle Wachsen der Rottweiler Pulverfabrik ist ein Beispiel der Entwicklung, die zum 1. Weltkrieg führte. Unternehmerisches Gewinnstreben und die politische Entwicklung führten fast zwangsläufig zu diesem Krieg, auch hier war Rottweil nicht ganz unbeteiligt.

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Gewerbegebiet im Neckartal, 22. Dezember 1999

Im zweiten Weltkrieg fällt lediglich Anfang Januar 1945 eine Bombe auf den Rüstungsbetrieb, sie durchschlug das Dach des Strickwerks, ohne großen Schaden anzurichten. Die Fabrik war wegen ihre Lage in der Neckarschleife ein zu schwieriges Ziel für die Jagdbomber.

Nach dem Einmarsch französischer Truppen in Rottweil, Ende April 1945, wurden Maschinen, Bücher und alte Waffen der Pulverfabrik ins Elsaß deportiert. Unter Aufsicht wird der Pulverbetrieb gesprengt.

Einige Gebäude im Areal der einstigen Pulverfabrik und außerhalb lassen noch heute ahnen, welche Bedeutung das Werk einst besaß und wieviel Wert damals auf Repräsentation gelegt wurde:

    Die Villa Duttenhofer, Königstraße 1

    Häuser für Angestellte, Oberndorfer Straße 65/67 und 81/83

    Museumssaal der Pulverfabrik, Neckartal 177

    Chemisches Laboratorium, Neckartal 172

    Denkmal für Max von Duttenhofer, vor Neckartal 172

    Das Kraftwerk der Pulverfabrik, Neckartal 68

    Die "Jakobskirche" der Pulverfabrik, Neckartal 159 (Wasch- und Umkleidegebäude), Neckartal 159

    Die Neckartal 142, Fabrikhalle, Neckartal 142

    Das Das Walzenwehr, Neckartal 129, Neckartal 129

    Die Ätherfabrik, Neckartal 24

    Die Pulverabfüllung, Neckartal 28

    Der Kesselraum, Neckartal 29, das Gebäude wurde in den 1990er Jahren abgerissen und durch einen Neubau ersetzt

    Die Brückenanlage bei Neckartal 92

    Das Verwaltungs- und Sozialgebäude, Neckartal 167

Erst im Jahr 1910, sieben Jahre nach Max von Duttenhofers Tod erhielt der Stuttgarter Regierungsbaumeister Professor Heinrich Henes den Auftrag zum Bau des Chemischen Laboratoriums der Rottweiler Pulverfabrik. Das Denkmal Max von Duttenhofers vor dem Laboratorium wurde schon 1905 enthüllt.

Hier noch einige interessante Fakten zur Pulverfabrik:

Im Jahr 1877 erhielt die Pulverfabrik einen eigenen Gleisanschluß (südlich der Brücke beim Bernburgtunnel).

1863 wurde mit 10 Arbeitern etwa 3000 Zentner Schwarzpulver hergestellt.

1874 lieferte die Pulverfabrik das Pulver für die Sprengungen beim Bau der Gotthard-Bahn.

Immer wieder kam es zu Explosionen, die Todesopfer forderten: 1866 (1 Toter), 1867 (3 Tote), 1869 (4 Tote), 1872 (4 Tote), 1875 (4 Tote).

Um 1900 durften die Beschäftigten der Pulverfabrik auf Betriebskosten baden, weibliche Personen 3,25 Bäder pro Monat, männliche Personen nur 1,5 Bäder pro Monat.

Max von Duttenhofer starb am 14. August 1903 im Alter von 60 Jahren. Sein Bruder Carl und sein Sohn Dr. Max Duttenhofer traten sein Erbe an. Bis ins Jahr 1926 (Übernahme der "Vereinigten Köln-Rottweiler Pulverfabriken" durch die "IG Farben") standen beide als Generaldirektoren an der Spitze des Pulverkonzerns.

Am 3. März 1915 wurde die Pulverfabrik zum erstenmal im 1. Weltkrieg von französischen Fliegern angegriffen, dabei explodierten 10 Tonnen Pulver. Der zweite Angriff erfolgte am 16. April 1915 und forderte drei Todesopfer. Bis Kriegsende erfolgten mindestens 11 weitere Angriffe auf die Pulverfabrik.

Im Jahr 1917 waren 2226 Arbeiter in der Pulverfabrik beschäftigt.

Während des 1. Weltkrieges wurden über 80% des Pulvers für die deutsche Infanterie in der Rottweiler Pulverfabrik produziert.

Während des 1. Weltkrieges wurden über 15 Millionen Mark für Neubauten ausgegeben (Kraftwerk 1,1 Millionen Mark)

1915 steuerte die Pulverfabrik 150.000 Mark bei, um die Duttenhofer-Straße mit der Rottweiler Innenstadt zu verbinden: Der Nägelesgraben wurde durch einen Damm überwunden, der Kriegsdamm entstand.

Im Januar 1942 erschütterte eine gewaltige Explosion die Pulverfabrik, 17 Menschen starben.

Nach dem 2. Weltkrieg demontierte die französische Besatzungsmacht Maschinen zur Herstellung von Explosivstoffen, aber auch Maschinen zur Produktion von Textilien. Gebäude der aufgegebenen Pulverherstellung wurden von den Franzosen gesprengt.

Im Jahr 1970 zählte die Kunstseidefabrik noch 1400 Beschäftigte.

Im Jahr 1994 zieht sich die Rhodia auf den Standort in Freiburg zurück, in Rottweil wird nicht mehr produziert.

Bitte beachten Sie auch den Übersichtsplan der alten Pulverfabrik.

Quellenangaben:     H. Ebert und W. Hecht, Kulturdenkmale in Rottweil
      F. Burgstahler, Rottweil im 19. Jahrhundert
      Dr. W. Hecht, Rottweil 1802-1970
      Dr. Berhard Laule, Die ehemalige Pulverfabrik in Rottweil am Neckar
      Tageszeitung Schwarzwälder Bote