"Beim Kapuziner ist gehörig was schiefgelaufen"
Kommentar zur Kapuziner-Einweihung:
Mit einem großen Bürgerfest will die Stadtverwaltung die
Wiedereröffnung des Kapuziners in Rottweil feiern. Ich
finde in diesem Festprogramm nichts Großes und schon gar
nichts Aufbruch inspirierendes, sondern viele den Bürgern
schuldig gebliebene Antworten auf wichtige Fragen. Dafür gibt
es jede Menge das soziale Miteinander und damit den sozialen
Frieden ausschließende Galas. Warum, so muss man sich fragen,
findet die offizielle "Galaeröffnung" am Freitagabend nur
mit geladenen Gästen in Form von Handwerkern, ein paar Vertretern
der Bürgerinitiative und Leuten des Denkmalschutzes
sowie den Chefs der CDU-Bundestagsfraktion und der Landesdenkmalpflege
statt? Die Handwerker wurden doch bereits
mehr als fünf Millionen entlohnt! Was haben Volker Kauder
und der Landeskonservator den Gästen zu sagen?
Angekündigt ist ein Tag der offenen Tür. Und ansonsten geschlossen?
Wegen allerhand Gala? Ich wollte es genau wissen
und habe bei der Stadt nachgefragt: Es gibt kein Nutzungskonzept,
das bei der Eröffnung vorgestellt werden kann. Es sollen
die Bürger auch nicht befragt werden, wie sie es machen wollen.
Wie das Mehrgenerationen-Bürgerhaus und auch das Kutschenhaus
in Zukunft zum Selbsttun genutzt werden können.
Mit der Eröffnung endet nicht die Aufgabe des Bürgerengagements,
sondern jetzt beginnt es. Alles Bisherige war nur
die Schaffung der Bedingungen dafür. Es ist doch extrem wichtig,
darüber informiert zu werden, an wievielen Tagen der Kapuziner
geöffnet sein wird und zu welchen Tageszeiten. Auch in
den Ferien? Wie viele Räume sind frei verfügbar? Wie hoch soll
der Nutzungsgrad sein?
Eine Halbtagskraft wurde eingestellt, deren Aufgabe es ist,
"Vermietung und Bewirtschaftung" zu organisieren. Ist das das,
was gebraucht wird? Bei der Eröffnung eines solchen Projekts
mit dem Anspruch eines Mehrgenerationen/Bürgerhauses für
Alle muss es klare Aussagen geben, zu wieviel Prozent der Belegzeiten
und Belegräume für nicht kommerzielles freies Bürgerengagement
kostenfrei zur Verfügung stehen. Oder ob still
und leise durch die Hintertüre das Bürgerhaus zu einem kostenpflichtigen
Tagungs-/Kongress- und Privatnutzungs-Eventhaus
gemacht werden soll, kaschiert mit einigen Referaten und Abteilungen
der Stadtverwaltung (etwa das Kinder- und Jugendreferat).
Den Bürgern soll, so sagte man mir, während dieser zwei
Eröffnungstage nette Unterhaltung geboten werden. Nichts
dagegen einzuwenden, sondern herzlichen Dank an das ehrenamtliche
Tun der Stadtkapelle, an die Musikschule der Stadt,
ans Zimmertheater, an die Bluesband usw., welche Ausschnitte
ihres Könnens zum Besten geben. Und auch an diejenigen, die
ehrenamtlich bewirten. Doch als "krönender Abschluss" (Zitat)
findet dann für den Samstagabend der frühzeitig ausverkaufte
Gala-Abend für 42 Euro pro Person statt - ein großes Kartenkontingent
war gar nicht auf dem freien Markt. Eine vierköpfige
Familie mit großen Kindern darf also die Eröffnung des Bürgerhauses
mit knapp 170 Euro feiern. Ein echtes Haus für Alle - für
Jung und Alt, für Arm und Reich?
Am Sonntag geht es weiter mit Gala. Die bereits eingemietete
private Kunstschule macht Werbung für ihr Angebot
an untalentierte Abiturienten, mit Mappenvorbereitung doch
noch einen Studienplatz an Kunsthochschulen oder fürs Lehramt
ergattern zu können. Meine Frage schonmal vorab: Gibt
es da auch Vorbereitungskurse für Hauptschüler für eine Malerlehrstelle
bzw. Realschulabgänger für bessere Computerdesignausbildungschancen?
Und wieviel kostet sowas? Kann man
auch die jetzt vom Bundestag beschlossenen Bildungsgutscheine
da einlösen? Nicht zu vergessen, es gibt am Sonntag als "nette
Unterhaltung" (Zitat) eine Jugendmodenschau. Da zeigen sechs
Mädels im Alter von 13-16 Jahren als Models (dünn genug?)
professionelle Hüte, welche sich dann die meisten Jugendlichen
finanziell sicher nicht leisten können. Zum Problem Mobbing
und Markenterror wäre ein kreatives modisches Aufmöbeln alter
Klamotten etwa aus dem Fundus der Aktion Eine Welt oder
dem eigenen Kleiderschrank doch eine sinnstiftende Sache gewesen.
Aber noch nicht genug. Auch am Sonntag noch einmal ein
Höhepunkt aus der Gala-Kategorie: ein Sinfoniekonzert der
Musikhochschule Trossingen, wohlgemerkt staatlich finanziert
aus den Steuern aller Bürger - diesmal für schlaffe 20 Euro
Eintritt. Soviel kostet die russische Reise, sie ist natürlich ausverkauft.
Für die alten Leute aus den Altenheimen oder gar für
diejenigen aus der Suppenstube gab's garantiert kein Kontingent,
wetten?
Ich habe genug Galas und stinklangweilige Empfänge erlebt,
um zu wissen: Nichts ist befriedigender, als selber etwas auf die
Beine zu stellen. Das Mehrgenerationenhaus muss das sozialkreative
Labor der kommunalen Nicht-Regierungsorganisationen
(NGOs) sein, in dem Zukunftsweisendes und Neues ausgebrütet
und erprobt werden kann, ja sogar muss. Wenn dann -
nur als Beispiel - die vom Land Baden-Württemberg preisgekrönte
Bürgerinitiative für eine Welt ohne atomare Bedrohung
/ Kinder von Tschernobyl sich zum 25. Jubiläum den Kapuziner
als Veranstaltungsort wegen der hohen Mietkosten nicht leisten
kann, dann ist ganz gehörig was schiefgelaufen.
Christine Muscheler-Frohne, Rottweil, Stadtteil Zimmern